TORI

Es war ein schöner Sommertag. Die Sonne schien mir ins Gesicht und die Vögel zwitscherten ihre schönste Melodie. Ich war gerade mit meinen Schulaufgaben fertig geworden und saß nun im weichen gras vor unserer Haustür. Ben hatte sich einige Tage zuvor mit unserem Nachbarsjungen angefreundet und spielte nun mit ihm Basketball. Ich hätte zwar fragen können, ob ich mitspielen darf, aber ich wollte die beiden nicht stören. Also machte ich mich auf den Weg um die unbekannte Gegend zu erkunden. Wir wohnten in einer amerikanischen Vorstadt von Los Angeles und waren erst drei Tage zuvor angekommen, weshalb alles noch neu und unbekannt war. Vielleicht fühlen sich andere unwohl, wenn sie nichts und niemanden kennen, aber für mich ist es jedes mal einen Möglichkeit Neues kennen zu lernen. Also freute ich mich an diesem Tag darauf meine Umgebung zu erkunden. Als erstes lief ich etwas in unserem Block herum, bis ich eine wunderschöne Wiese entdeckte. Überall wuchsen bunte Blumen und Insekten lieferten sich einen Kampf um die schönsten von ihnen. Ich rannte in die Mitte der Wiese, legte mich auf den Boden und schaute zu den Wolken hoch. Eine von ihnen hatte die Form eines überdimensionalen Vogels mit drei Flügen. Zumindest sah sie für mich so aus. Der Rest meiner Familie sah immer etwas anderes in den Wolken als ich. Für sie wäre die Wolke vielleicht ein Indianer oder ein Fisch. So war es oft mit meiner Phantasie. Sie war einfach zu abstrakt. Das war wahrscheinlich auch der Grund warum andere oft sagten, meine Vorstellungen wären falsch. Aber wie kann etwas nicht richtig sein, auf das niemand eine Antwort hat?

Zum Beispiel ist Gott in meiner Vorstellung kein alter weiser Mann, sondern ein fetter Junge, der vor dem Fernseher sitzt und uns wie in einem Computerspiel steuert. Er versucht alles richtig zu machen, aber schafft es trotzdem immer alles ins Chaos zu stürzen, weshalb ich der Meinung bin man soll sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und nicht dem armen Jungen die ganze Arbeit überlassen. Als ich das einmal meiner Lehrerin erklärte, hat sie mich nur böse angesehen und meint, ich dürfe nicht so über Gott reden, da es respektlos sei. Aber schließlich war sie es ja, die nach meiner Meinung gefragt hatte. Außerdem habe ich ja nicht behauptet meine Vorstellung wäre die einzig richtige. Seit diesem Tag nenne ich diesen Jungen Jimmy und spreche kaum noch über ihn. Ich schloss die Augen und ließ die Welt auf mich wirken, als ich plötzlich ein Rascheln hinter mir hörte. Ich setzte mich auf und schaute nach hinten. Da stand ein kleines Mädchen, etwa in meinem Alter und sah mich lächelnd an. Ich ging auf sie zu und stellte mich freundlich vor, worauf hin sie mich nur weiter anlächelte und nichts sagte. Plötzlich viel es mir wieder ein. Ich war in Amerika und mit meiner deutschen Vorstellung würde hier keiner etwas anfangen können. Also versuchte ich
es erneut. Diesmal allerdings mit meinem steifen Schulenglisch und sie antwortete auch. Ihr Name war Tori, sie war 7 Jahre alt und wohnte nur drei Häuser weiter. Dann legte sie sich neben die Stelle, an der ich zuvor gelegen habe und schaute in Himmel. Ich warte kurz, ob sie noch etwas sagen würde und als ich schon fast gehen wollte riss sie mich mit den Worten, schau mal, die Wolke da sieht aus wie da ein Vogel mit drei Flügeln, aus meinen Gedanken. Ich musste lauthals loslachen
und schon nach wenigen Millisekunden stimmte sie mit ein. Ich legte mich neben sie und wir unterhielten uns weiter über die Form von Wolken. Bis heute sind Tori und ich beste Freunde und sie versteht mich und meine verrückte Phantasie. Ihr habe ich es auch zu verdanken, dass ich englisch mittlerweile fast so gut wie eine Muttersprache spreche.

©2017 Projekt “SchreibKunst”/ Lilian Metz


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