Roya – frei, wir sind frei

“Du kannst alles sagen, was du willst, Lu. Das ist dein Recht. Sag, was auch immer du willst.”

Diese Worte dröhnen noch immer in meinem Kopf. Immer, und immer wieder. Damals habe ich ihm noch geglaubt. Diesem Mann, den man meinen Vater nennt. Heute ist das anders. Es kommt mir vor, wie als wäre das bloß ein Traum gewesen. Ein guter. Kein Albtraum. Und doch ist das weg. Dieses Recht? Alles ist anders. Ein falsches Wort, und ….

Nicht daran denken, Lu. Mom geht es bestimmt gut. Sie lebt, Lu, sie lebt.

Ich möchte Mom einfach vergessen, ihr Schicksal, alles, wie als wäre es bloß ein Traum gewesen, und die Meinungsfreiheit dagegen Realität. Aber … ich  schaffe es nicht. Immer wieder, und öfter, folgt auf Dad ́s “Du-kannst-alles-sagen,was-auch-immer-du-willst”-Traumrede nun auch eine Stimme, die an Mom ́s Schicksal erinnert.

Ja, der Kaiser meint es gut. Er möchte bloß für uns, das Volk, sorgen. Aber was hat Mom ihm bloß getan? War sie so eine schlechte Frau?

Ob sie eine gute Mutter war, kann ich nicht entscheiden. Sie wurde festgenommen,  da war ich erst knappe fünf Jahre alt. Ich habe nur ein Bild von ihr. Es zeigt meinen  Dad und sie, Arm in Arm, kurz nachdem sie sich kennengelernt haben. Sie, 24, und Dad 25. Nun wäre Mom schon 47, und ist schon seit neun Jahren an einem geheimen Ort. Eine Gefängniszelle, grausam, kühl, und dreckig? Oder ist sie doch schon verstreut im Meer?

Nicht daran denken, Lu! Lalalala, die Gedanken sind frei. Lalalala, alles ist gut. Ich bin so glücklich, Mom ist bestimmt schon wieder frei. Lalalala…..

Aber ich schaffe es nicht, Mom zu vergessen. Und damit auch unsere verlorene Freiheit.

 

Geknickt lasse ich mich im Sessel nieder. Ich mache den Fernseher an, um mich etwas abzulenken, und auf andere Gedanken zu kommen. Da klingelt es plötzlich an der Tür. Ich höre nur noch ein paar Worte aus der Nachrichtensendung, als ich auch schon zum Flur eile. “(…) Menschenmenge stürmt vor Wut den Palast. Der Kaiser erhängt, die politischen Gefangenen entlassen. Die Menschen sind erfreut über die neugewonnene Freiheit.”

“Mom! Mom, bist du es?” Überrascht blicke ich in ein Gesicht einer mir durch ein gewisses Bild bekannten Frau. Doch fehl am Platz auf ihrem wunderschönen  Gesicht wirken die Blutergüsse, Kratzer, und Narben. All diese Ausdrücke von Schmerz werden von verwahrlosten, zerzausten Haaren umgeben.

“Luana?” Sie strahlt mir entgegen und nimmt mich in den Arm. “Oh, Luana!” Eine kleine Träne läuft an ihrer Wange herunter.

“Wir sind frei, Mom”, flüstere ich ihr, ebenfalls mit Tränen in den Augen, ins Ohr.

Endlich. Wir sind frei


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