Beatrix B. B. Carvalho – Edgar Egal

Es gibt viele Geschichten auf dieser Welt. Märchen und Sagen, Fabeln und Legenden, Tragödien und Komödien, Romanzen oder Heldengeschichten. Geschichten aus der Fantasie, Geschichten aus der Realität oder Geschichten, bei denen man es nicht so genau weiß. Lügengeschichten, Wharheitserzälungen oder einfach Wahnerzählungen. Geschichten, die spontan erfunden werden und kaum die Oberfläche kratzen oder Geschichten, die in die tiefe gehen. Und dann gibt es noch die Lebensgeschichte.
Und meine Lebensgeschichte ist alles andere als schön. Man könnte sie ebenso wenig einfach und simpel nennen, wie man sie fröhlich nennen könnte.
Aber das ist in Ordnung, denn am Ende des Tages, hat nichts einen wirklichen Sinn.

Ich heiße Edgar Egal und ich bin Ordnungspolizist. Ich arbeite in Berlin der 1920er Jahre und jeder schwärmt hier von Feiern und dem beliebtem Schlager, aber ich halte es alles nur für unsinnig. An meiner Stelle am Berliner Hauptbahnhof kommen mindestens zwei verlorene Tänzer oder Sänger vorbei und fragen mich nach dem Weg zum Potsdamer Platz. Es hängen hier Schilder. Wenn sie den Weg dorthin nicht finden, werden sie den Weg an das Rampenlicht auch übersehen.
Jeden Tag verbringe ich meine Zeit damit, Gauner wieder auf den rechten Pfad zu rücken. Das ist leichter gesagt, als getan. Ich muss jeden Morgen um Punkt 5 Uhr an meiner Arbeitsstelle sein und leider ist der Bahnhof der anfälligste Ort für Kriminalitäten. Neben den toten Zügen bewegen sich die Diebe wie Schatten und wenn ich eine Frau schreien höre, weiß ich, dass die Bande der Berliner Schatten nicht weit ist. Meine Arbeit ist es eigentlich, sie zu verhaften und zur Station zu bringen und früher habe ich das auch getan. Aber ich habe keine Nerven mehr dafür. Die Kriminellen lernen nie aus ihren Fehlern. Warum soll ich sie festnehmen, wenn ich jeden Tag das selbe tun muss? Sie sind doch harmlos. Ich darf aber nicht zu unforsichtig sein. Ich habe nämlich so einen Vorsitzenden, Herr Petermann. Ich darf also nur 3 mal am Tag ein Auge zudrücken. Und das wissen die Diebe. Wir haben also eine Art Vertrag. Der steht aber nur weil ich keine Lust habe einen Haufen Papierkram auszufüllen. Bei der Häufigkeit der Diebstähle verliere ich doch den Überblick und ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.

Warum erzähle ich euch das alles? Ach ja. Lebensgeschichte. Wie bin ich hier gelandet? Warum bin ich noch hier wenn ich es so furchtbar finde? Frag ich mich auch.

Der einzige Grund, weshalb ich noch hier bin, ist meine Familie. Mir kann alles egal sein, aber an meine Familie kommt keiner heran.

Gut haten wir es knapp. Ich will es nicht zu sehr in die Weite ziehen.

Ich bin arm aufgewachsen. An meinem achten Geburtstag verließ uns mein Vater. Wenn man ihn überhaupt so nennen kann. Es blieben nur ich, mein Bruder und meine arme Mutter zurück. Wir konnten nirgendswo hin und wir verbrachten Jahre auf der Suche nach Unterkunft. Meistens schliefen wir in einem engen Zimmer in einer Gaststätte, die zum Zertrümmern drohte. Das ist, wenn wir es uns an diesem Abend leisten konnten. Im Alter von 14 Jahren hatte ich mehr auf einer Parkbank oder in einer verlassenen Gasse übernachtet als ich auf den Fingern zählen konnte. Aber dann begann ich bei einer Zigarettenfabrik zu arbeiten und konnte es mir öfter leisten für ein Bett zu bezahlen. Aber ich ging nicht mehr zur Schule und ich merkte wie ich von rebellischen Obdachlosen wie ich beeinflusst wurde. Im Alter von 17 Jahren begann ich den größten Fehler meines Lebens. Aber dieser verwandelte sich in den größten Segen, den ich mir damals hätte vorstellen können. Ich brach, zusammen mit einigen Freunden, nachts in einen geschlossenen Markt ein um Essen zu stehlen. Aber wir wurden von einem Offizier erwischt und er schleppte uns zur Station ab. Aber er überlegte es sich anders. Er machte uns ein Angebot. Wir sollten eine Ausbildung zu Polizisten abschließen und im Gegenzug würde er uns nicht verraten. Ich verstand den Grund für seine Kompromissfreudigkeit damals nicht. Aber mit der Zeit lernte ich, dass er bloß das Interesse hatte Kinder von den Straßen zu holen und sie zu beschützen. Und das konnte er nur erreichen indem wir uns selbst beschützten. Dafür werde ich ihm mein Leben lang dankbar sein. Ich sah dieses Angebot als Ausweg aus unserer Armut und dies war es auch. Ich verdiene als Ordnungspolizist genung Geld, um meiner Familie das Leben finanzieren zu können.
So groß ist sie aber nicht mehr. Letztes Jahr erkrankte mein Bruder an einer mysteriösen Seuche und satrb mit nicht mehr als 18 Jahren.
Ich bin nun 25 und frage mich, was ich hier überahupt noch mache. Ich kann meine Arbeitskollegen nicht ausstehen. Sie benehmen sich alle wie ein Haufen Marionetten für den Affen, der uns da oben mit seinen Waffen herumkomandiert. Ich leide daran, jeden Morgen aufstehen zu müssen um den selben Idioten am Bahnhof sagen zu müssen, wie albern ihre Streiche sind. Ich habe keine Nerven mehr, die Kriminellen einzusperren. Sie werden doch sowieso wieder herausgelassen oder entkommen irgendwie und der ganze Blödsinn fängt wieder von Neuem an.

Meine Mutter liegt nun auch im Sterben. Ihre Leber hat den ganzen Alkohol wohl nicht ertragen.

Was mache ich hier denn noch? Der einzige Freund, den ich habe, ist ein Hund. Man kann Menschen nicht vertrauen. Sie benutzen und dann verlassen sie einen und brechen damit all ihre leeren Versprechen. Deshalb gehe ich auch nicht auf Parties. Wozu auch? Ich brauche keine Freunde. Aber wegen meinem Chef werde ich nun gezwungen auf eine zu gehen. Er meinte ich soll mich „schick“ anziehen. Was soll das heißen? Ich ziehe an, was ich immer an habe.

Ich habe es anfangs wirklich versucht. Glauben Sie mir! Ich habe versucht der Held zu sein, aber es war alles für nichts. Und wenn schon die Erde morgen untergeht? Soll sie doch! Ist mir doch egal. Ist mir auch recht. Das letzte, was ich nun noch brauche, ist, dass meine Vorsitzenden herausfinden, dass ich in Wahrheit eine Frau bin. Eigentlich heiße ich ja Lisa Lieblich. So steht’s auf der Geburtsurkunde. Meine Familie weiß aber auch nicht, dass ich auf der Arbeit Geschlechter wechsle. Wenn meine Mutter das wüsste, würde sie wirklich in den Tod gehen. Aber es ist nunmal der einzige Weg erfolgreich zu sein in dieser Welt. Als Frau wäre ich niemals Polizistin geworden. Das Wort existiert nicht einmal! Männer sind so egoistisch und eingebildet. Deshalb ist es so einfach für sie! Sie machen ein System was nur für sie gedacht ist. Und dann wir davon geredet, dass das selbe Geschlecht die Frauen beschützen soll! Ich bitte Sie! Ich kann mich besser beschützen als irgendein Testosteron-geladenes Kind.
Lisa Lieblich? Die gibt’s nicht mehr. Aber ganz ehrlich, wenn man sie entdeckt, ist es dem Edgar aber nun auch egal.

Der Weltuntergang ist noch weit weg. Aber wenn die Weite sich kürzt, kann ich Sie versichern, dass meine Nerven kürzer sind.
Sind wir jetzt fertig?


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