Lilly Gacenbiller: Frei nach Der alte Mann und das Meer von Ernest Hemingway

Er war ein alter Mann und er fischte allein in einem Boot im Golfstrom, und seit vierundachtzig Tagen hatte er keinen Fisch gefangen.

Jeden Tag kehrte er mit einem leeren Netz nach Hause zurück und musste seine Familie enttäuschen, die sich nach einem Fang sehnte. Ein großer Druck lastete auf ihm, als er am fünfundachtzigsten Tag zum Meer zurückkehrte.

Er löste den Knoten, der sein Schiff an den Steg festband und stieg in das Boot hinein. Nun packte er die Ruder und ruderte aufs Meer hinaus.

Die Luft roch nach Salz und frischer Wind peitschte dem alten Mann um die Ohren.

Er kam nur sehr langsam voran. Seine Stärke war mit der Zeit geschwunden.

Das Schiff schaukelte leicht in den Wellen und der alte Mann bereitete alles für den Fischfang vor. Er legte die Netze aus und nahm seine Angelrute in die Hand. Danach konnte er nur noch abwarten. Und so wartete er Stunden lang, bis er die Sonne untergehen sah und es Zeit war zurückzusegeln.

Auf dem Rückweg begann es nach kurzer Zeit zu regnen und die zerfransten Klamotten des Mannes wurden vollkommen durchnässt. Seine Frau, sein Sohn und dessen Ehefrau machten sich große Sorgen, als sie ihn so zittrig und durchnässt sahen. Sie machten ihm sofort einen Tee und brachten ihn ins Bett.

Das Gewitter wütete und die Familie fror die ganze Nacht hindurch.

Am nächsten Morgen konnte der alte Mann nicht hinaus auf das Meer fahren, um Fische zu fangen. Er hatte sich etwas eingefangen und musste nun die nächste Woche im Bett verweilen. Doch dies plagte ihn nur umso mehr. Wie sollte er einen Beitrag leisten können, wenn er nur in seinem Bett verblieb?

Schließlich beschloss er doch noch, hinaus zu segeln. Ohne auf die Bitten seines Sohnes zu achten, der ihm draußen im Garten begegnete, lief er zum Steg am Sandstrand, löste das Seil und setze sich in das Boot. Es ist meine Pflicht, flüsterte er immerzu vor sich hin. Es war ein bewölkter Tag. Die Sonne strahlte leicht zwischen den Wolken hervor und nur eine kleine Brise zog über das Land. Der alte Mann saß in seinem Boot und hoffte auf einen Fang. Doch auch diesmal schwand seine Hoffnung, Stunde um Stunde mehr. Er brachte es nicht über sich, seine Familie erneut zu enttäuschen. Ich bin zwar alt, aber nicht zu alt, um mitzuhelfen. Voller Überzeugung sprang er von seinem Boot in die Wellen hinein. Das salzige Wasser drang in seine Augen und seine Kleider zogen ihn nach unten, doch trotzdem er hielt Ausschau nach den Fischen.

Der alte Mann spürte, wie der Wasserdruck ihm zu schaffen machte, in seinen Ohre piepte es schrill, während er keinen einzigen Schwarm in greifbarer Nähe zu Gesicht bekam. Luft, ich brauche Luft!, schrie sein Gehirn. Da konnte es der Mann nicht weiter aushalten. Er strampelte wild mit den Beinen, um die Wasseroberfläche zu durchbrechen. Ein paar Sekunden später tauchte er auf und klammerte sich an sein Boot fest, das seine Fingerknochen heraustraten und weiß wurden. Mit großer Anstrengung kletterte er wieder in sein Boot. Vielleicht bin ich doch ein wenig zu alt, um tauchen zu gehen, dachte er.

Den Rest des Tages sah er aufs Meer hinaus und grübelte vor sich hin.

Noch in der selben Nacht kehrte er heim. Seine Frau stürzte ihm entgegen und schimpfte, wie leichtsinnig es doch sei krank hinaus zu fahren, um zu fischen. „Dir hätte weiß Gott was passieren können!“, warf sie ihm vor. Der alte Mann bemerkte, wie viel besorgter sie um ihn war als um den Fischfang. In dieser Nacht traf er den Entschluss, nicht mehr aufs Meer zu fahren, um zu Angeln, sondern um sich zu entspannen und gelassener und ruhiger zu werden. Seiner Familie wollte er anderweitig mit kleinen Gesten helfen. Doch vorerst würde er seinen Sohn den Fischfang lehren, auf das sein Wissen ihm eine Stütze sei.


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